Kapitalmarkt
21. Februar 2024 / Carsten Mumm, Chefvolkswirt
Anfang 2024 beobachten wir sinkende Zinsen, nachdem 2022 eine rund vierzigjährige Phase fallender Renditen zu Ende gegangen ist. Seit sich die Notenbanken Anfang der achtziger Jahre die Bekämpfung der zuvor sehr hohen Inflationsraten als Ziel gesetzt hatten, zeigte der Zinstrend unter teils heftigen Schwankungen fast ausnahmelos nach unten. Den Tiefpunkt dieser Entwicklung markierten Null- und Negativzinsen.
Zins-Regimewechsel als Reaktion auf explodierende Inflationsraten
Der folgende Zinsanstieg nahm prozentual betrachtet historisch beispiellose Ausmaße an, denn die im Zuge verbreiteter Lieferkettenunterbrechungen und durch den Ausbruch des Ukrainekriegs explodierten Inflationsraten sorgten zunächst für steil ansteigende Renditen bei Staatsanleihen. Verspätet, dafür aber umso stärker führten die Notenbanken die Leitzinsen nach oben, nachdem sie offensichtlich zu lange am Szenario eines nur vorübergehenden Inflationsschocks festgehalten hatten.
Mit dem neuen Zinsumfeld entstanden zwangsläufig Anpassungsreaktionen an den Kapitalmärkten und in der Realwirtschaft, die teilweise noch andauern. Während die wieder vorhandene Anlagealternative im verzinslichen Bereich sowie die Aussicht auf höhere Refinanzierungskosten für sofortige Kurskorrekturen bei liquiden Anlagen wie Anleihen und Aktien sorgte, wurden die neuen, zum höheren Zinsniveau passenden Gleichgewichtspreise in anderen Kapitalmarktsegmenten noch nicht gefunden. Daher befinden sich auch die Preise für Immobilien nach wie vor in einer Korrekturphase.
Zudem schlagen sich die gestiegenen Konditionen für Fremdkapital erst langsam in der Realwirtschaft nieder. Mit jeder neuen Kreditaufnahme oder Anleiheemission steigen sukzessive die Kapitalkosten für unternehmerische Investitionen, den Hausbau oder Immobilienerwerb sowie für private kreditfinanzierte Konsumausgaben und bremsen so die Wachstumsdynamik in vielen Volkswirtschaften aus.
Zinsen spielen wieder eine wesentliche Rolle
Der Blick nach vorn stimmt trotzdem zuversichtlich. Einerseits ist es erfreulich, dass der Zins seine volkswirtschaftliche Lenkungsfunktion wieder einnehmen kann, die er in Zeiten von Null- und Negativzinsen verloren hatte. Anleger werden nicht mehr zwangsläufig aus dem verzinslichen Bereich zum Kauf anderer, oftmals risikoreicher Anlageklassen veranlasst. Banken konnten ihre Zinsmargen wieder normalisieren und Einrichtungen der Altersvorsorge ihre Erträge stabilisieren. Zwar steigt im aktuellen Umfeld der konjunkturellen Schwäche und der hohen Zinsen die Anzahl der Insolvenzen an. Dadurch werden jedoch zunächst nur die ungewöhnlich niedrigen Quoten der Coronajahre ausgeglichen. Marktwirtschaften zeichnen sich schließlich dadurch aus, dass nicht mehr wettbewerbsfähige Unternehmen aus dem Markt ausscheiden und das dort gebundene Kapital produktiver investiert werden kann. Dieser gesunde Erneuerungsprozess kommt nun wieder zum Tragen und unterstützt die ohnehin vielfach notwendige Transformation der deutschen Wirtschaft hin zu zukunftsfähigen Geschäftsmodellen.
Zudem müssen Zinsveränderungen immer auch im weiteren Zeitverlauf betrachtet werden. So sind die Renditen von Staatsanleihen seit Oktober 2023 bereits deutlich gesunken, bei zehnjährigen deutschen Bundesanleihen von 3,0 auf knapp 2,4 Prozent p.a. Entsprechend haben sich auch Kreditkonditionen und die Renditen von Unternehmensanleihen wieder relativiert. Damit liegen die Zinsen zwar noch immer deutlich oberhalb der Nulllinie, aber auch nennenswert unter den kürzlich erreichten Höchstniveaus und belasten die Budgets von Kreditnehmern weniger stark.
Die neue Zinswende – Gründe aktuell sinkender Zinsen
Der Hintergrund für die – in diesem Fall nach unten gerichtete – Zinswende sind die zuletzt unerwartet stark gesunkenen Inflationsraten in Europa. So sackte die Teuerung in Deutschland im Januar auf 2,9 Prozent ab, obwohl die Erhöhung der CO2-Abgaben und die Wiederanhebung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie zum Jahresanfang preisniveautreibend wirkten. Auch legten die Rohölpreise im Januar leicht zu, und die Sperrung des Roten Meeres im Zuge anhaltender Angriffe auf Handelsschiffe führte zu Verzögerungen in einzelnen Lieferketten und steigenden Containerfrachtraten. Offensichtlich wurden diese Effekte jedoch durch die ausgeprägte globale Nachfrageschwäche, vor allem in der Industrie, überkompensiert. Zudem fällt die Kreditnachfrage angesichts der anhaltenden Investitionsschwäche seit Monaten schwach aus.
Da konjunkturell in den kommenden Quartalen in der Eurozone nur eine leichte Belebung zu erwarten ist, dürfte die Inflation vorerst weiter sinken. Dabei ist auch das Erreichen und zumindest kurzzeitige Unterschreiten der Zielmarke der Europäischen Zentralbank (EZB) von 2 Prozent gut möglich. Entsprechend steigt die Wahrscheinlichkeit für eine erste Leitzinssenkung im Rahmen der Sitzung des EZB-Rats Mitte April. Weitere dürften im Jahresverlauf folgen und damit für zusätzlichen Druck bei Renditen mit längeren Laufzeiten sorgen.
In den USA fällt die konjunkturelle Entwicklung zwar bisher noch dynamischer aus, allerdings ist auch hier künftig mit zinsinduzierten Bremseffekten bei der Investitions- und Konsumgüternachfrage zu rechnen. Schon seit Monaten sorgt ein anhaltender Preisverfall im Segment der gewerblichen Immobilien für zunehmende Ergebnisbelastungen bei den finanzierenden Banken, teilweise sogar mit Ausstrahlwirkungen auf den europäischen Bankensektor. Bei ebenfalls tendenziell weiter sinkenden Inflationsraten und zur Stabilisierung der Situation im Finanzsektor sind daher auch vonseiten der US-Notenbank Fed ab dem Sommer Leitzinssenkungen denkbar.
Positive Aussichten an den Kapitalmärkten
Wie schon seit dem Ende der Nullzinsphase dürfte die Zinsentwicklung einer der wichtigsten Einflussfaktoren an den internationalen Kapitalmärkten bleiben. Dabei unterstützt die Aussicht auf sinkende Zinsen die Perspektiven aller anderen Anlageklassen. Auch deshalb gehen wir trotz jüngst erreichter Allzeithöchststände bei vielen Aktienindizes im weiteren Jahresverlauf von weiterem Potenzial aus, wenngleich zwischenzeitliche Kursrücksetzer aufgrund einer Vielzahl verschiedener – v.a. geopolitischer – Risikofaktoren wahrscheinlich sind. Im Immobiliensegment Wohnen rechnen wir mit einer Preisstabilisierung im zweiten Halbjahr, denn das strukturelle Unterangebot an Wohnraum sollte für eine anhaltend hohe Nachfrage und weiter steigende Mieten sorgen.