Wochenrückblick
2. September 2022
Die internationalen Kapitalmärkte durchleben derzeit einen nahezu alle Segmente umfassenden Korrekturmodus. Sowohl die wichtigsten europäischen, asiatischen und US-Aktienindizes als auch Rohöl, Gold und Bitcoin befinden sich aus charttechnischer Sicht in kurz-, mittel- und teilweise langfristigen Abwärtstrends. Auch die Kurse von Staatsanleihen korrigierten zuletzt überwiegend mit der Folge steigender Renditen in der Eurozone und in den USA. Da überwiegend noch keine Bodenbildungen erkennbar sind, sollten Anleger vorerst vorsichtig positioniert bleiben und bestehende Investments durch enge Stopps absichern.
Diese Entwicklung an den Börsen ist Ausdruck der nach wie vor schwachen Perspektiven für die globale Konjunkturdynamik. In China nahmen angesichts erneut steigender Corona-Neufallzahlen die Lockdowns ganzer Millionenmetropolen wieder zu – mit entsprechenden Belastungen der wirtschaftlichen Aktivität. In Europa belasten steigende Gas- und Strompreise sowie die Aussicht auf die künftig stärkere Überwälzung auf die Endkunden der Versorger die Investitionsbereitschaft von Unternehmen und den privaten Konsum. Gleichzeitig ist die angekündigte Unterstützung von politischer Seite zumindest in Deutschland noch nicht klar genug umrissen, so dass eine enorme Unsicherheit die wirtschaftliche Entwicklung dämpft. Vor allem Menschen und Unternehmen, die aufgrund des Energiepreisanstiegs in existenzielle Not geraten könnten, sollten umfassende Hilfe bekommen. Kontraproduktiv wären pauschale Entlastungen, wie etwa durch Preisdeckel, da sie den dringend benötigten Anreiz zum Einsparen von Energie abschwächen würden.
Die in den letzten Tagen deutlich nachgebenden Großhandelspreise an den europäischen Gas- und Strombörsen dürfen nicht als dauerhafte Entlastung verstanden werden. Vielmehr zeigt sich dadurch welch enorme Verunsicherung am Markt herrscht. Dabei kommt es auch zu spekulativen Überreaktionen nach oben, die durch kurzfristige erhebliche Verlustphasen korrigiert werden können.
Die an der Börse gehandelten Preise für Strom und Gas spiegeln noch nicht die tatsächliche Knappheit wider, sondern die Möglichkeit künftig notwendiger Rationierungen.
Deren Wahrscheinlichkeit und Ausmaß ist aber kaum zu prognostizieren, woraus die gerade erkennbaren heftigen Schwankungen resultieren. Kurzfristig besonders relevant für die weitere Preisentwicklung ist die Frage, ob nach der derzeitigen wartungsbedingten Lieferunterbrechung über die Gaspipeline Northstream I tatsächlich wieder ab Samstag Gas fließt. Falls ja, sollte – trotz des bereits deutlich fortgeschrittenen Lagerbestandsaufbaus in Deutschland auf 84 Prozent der maximalen Kapazität – die Unsicherheit über einen möglichen kompletten Gaslieferstopp und daher drohende Rationierungen im Winterhalbjahr bestehen bleiben.
Jüngste Äußerungen von Joachim Nagel, Präsident der Deutschen Bundesbank, sowie Jerome Powell, Präsident der US-Notenbank Fed, verdeutlichen, dass viele Notenbanken sich derzeit zuvorderst auf die Bekämpfung der stark erhöhten Inflationsdynamiken fokussieren. Eindeutig wurde dabei auch die Inkaufnahme einer Rezession in Aussicht gestellt. Nagel betonte, dass man jetzt dafür sorgen müsse, dass sich Inflationserwartungen nicht auf erhöhten Niveaus verfestigten und es damit immer schwieriger wäre, die Inflation in den Griff zu bekommen. Es stellte daher sogar ein „Front-Loading“ in Aussicht, also die Möglichkeit, die Leitzinsen sogar etwas schneller und stärker als notwendig anzuheben. Da sich andere EZB-Ratsmitglieder zuletzt ähnlich äußerten, liegt die Erwartung an die kommende Ratssitzung am 8. September mittlerweile bei einer Leitzinsanhebung um 0,75 Prozentpunkte. Auch diese Perspektive trug letztlich zur breiten Kurskorrektur an den Börsen bei. Allerdings gehört genau diese sehr falkenhafte Rhetorik der Notenbanken auch zu deren Standard-Instrumentarium und dürfte tatsächlich dazu beitragen, dass die Inflationserwartungen gedämpft werden. Ob tatsächlich, wie von Powell avisiert, eine lang anhaltende geldpolitisch restriktive Phase daraus resultiert, kann angesichts der sehr unsicheren und dynamischen Zukunftsaussichten für die weltwirtschaftliche Entwicklung derzeit kaum prognostiziert werden. Die Notenbanken werden sich somit vor allem durch die künftigen volkswirtschaftlichen Datenveröffentlichungen leiten lassen.