25.11.2024 / Carsten Mumm, Chefvolkswirt
Differenzierte Wachstumserwartungen
Das globale Wirtschaftswachstum wird gemäß Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) auch im kommenden Jahr 2025 mit 3,2 Prozent im historischen Kontext schwach ausfallen. Dabei wird die Gruppe der Schwellenländer, vor allem aus Asien, erneut der Wachstumstreiber sein. China dürfte es trotz diverser geld- und fiskalpolitischer Stützungsmaßnahmen jedoch nicht gelingen, den Wachstumspfad der Vor-Coronazeit wieder aufzunehmen. Zu stark wiegen anhaltende strukturelle Bremsfaktoren wie die Konsolidierung des Immobiliensektors, die stagnierende bzw. perspektivisch sinkende Bevölkerung, die zunehmende politische Unsicherheit sowie fehlende Konsumlaune.
Für die US-Volkswirtschaft bleibt eine moderate Konjunkturabkühlung (soft landing) das wahrscheinlichste Szenario, zumal der kommende Präsident Trump einen wirtschaftsfreundlichen Kurs fahren wird. Obwohl das Wachstum in der Eurozone parallel zulegen sollte, wird die US-Wirtschaft voraussichtlich weiter deutlich stärker zulegen.
In Deutschland steht die Wirtschaft vor einem zaghaften zyklischen Aufschwung, der zunächst durch mehr private Konsumausgaben nach zuletzt deutlichen Reallohnsteigerungen initiiert werden dürfte. Die Industrie leidet hingegen weiter unter einer anhaltend schwachen globalen Exportnachfrage.
Europa und Deutschland mit positivem Überraschungspotenzial
Zusätzliches Momentum würde entstehen, wenn vonseiten der Politik ein Pfad klarer Strukturreformen mit der Zielsetzung der Ertüchtigung des Wirtschaftsstandorts lanciert wird. Die Wahrscheinlichkeit dafür steigt mit der neuen Bundesregierung, wenn anstatt ideologisch motivierter roter Linien mehr Pragmatismus einkehrt. Kurzfristig wird aber das Wachstum in Deutschland durch zu hohe Kosten, zu viel Bürokratie und langwierige Verfahren, mangelnde Planungssicherheit, ein zu niedriges Innovationspotenzial, den Fokus auf Mitteltechnologien sowie fehlendes privates Risikokapital ausgebremst.
Europas wesentliche Herausforderungen sind ähnlich und wurden vom ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi eindeutig formuliert. Es geht um das Schließen einer seit Jahren aufgebauten Innovationslücke – insbesondere im Vergleich zu den USA und China, die Harmonisierung von Dekarbonisierung und Wettbewerbsfähigkeit sowie die Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherheit durch Reduzierung von Abhängigkeiten. Hinzu kommen wirtschaftliche und sicherheitstechnische Bedrohungen durch geopolitische Konflikte und die zunehmend auf eigene Bedürfnisse ausgerichtete US-Politik. Die im Sommer 2024 neu formierte EU-Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen sollte zusammen mit einzelnen europäischen Staaten und angesichts einer drohenden weiteren Polarisierung der Parteienlandschaft im EU-Parlament wichtige von Draghi erwähnte Reformen angehen. Damit besteht für Europa positives Überraschungspotenzial.
Der Einfluss von Geo-, Handels- und Fiskalpolitik
Die zunehmende Fragmentierung der Weltwirtschaft im Zuge geo- und handelspolitischer Auseinandersetzungen bleibt eines der Kernrisiken für Konjunktur und Kapitalmärkte, wenngleich die Wahrscheinlichkeit für eine Beendigung des Ukrainekriegs im Laufe des kommenden Jahres mit der Amtsübernahme durch Donald Trump in den USA steigt. Der seit Jahren bestehende Trend zum Protektionismus, zu Handelsrestriktionen und damit die Veränderung internationaler Arbeitsteilung dürften die kommenden Jahre jedoch grundsätzlich weiter prägen. Allerdings ist davon auszugehen, dass noch bestehende, teils enge wirtschaftliche Verflechtungen – v.a. zwischen China und den USA bzw. Europa – größere Eskalationen zwischen diesen Regionen verhindern.
Trotz weltweit überwiegend hoher Schuldenniveaus dürften Staaten zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit zentraler staatlicher Organisationseinheiten und Prozesse tendenziell ihre Schulden weiter erhöhen. Sollten dabei Zweifel an der Refinanzierungsfähigkeit von Staatsschulden entstehen und die Kapitalmarktzinsen zu stark steigen, werden die Notenbanken zur Stabilisierung der Lage beitragen und/oder die Regierungen ggf. ihre Pläne revidieren müssen.
Fehlender Inflationsdruck und sinkende Zinsen
Aufgrund der anhaltenden globalen Nachfrageschwäche, die sich auch dämpfend auf die Energiepreise auswirkt, ist mit einem weiter nachlassenden bzw. deutlich abgeschwächten Inflationsdruck zu rechnen. In der Eurozone und den USA sind Teuerungsraten von nahe bzw. leicht über dem jeweiligen Inflationsziel der Notenbanken von 2 Prozent wahrscheinlich. In China besteht weiterhin eine eher deflationäre Tendenz, die auch global preisniveausenkend wirkt. Das Risiko eines deutlichen Inflationsanstiegs bestünde hingegen im Falle einer stärkeren Verwicklung des Iran in den Israel-Konflikt und deutlich steigender Energiepreise.
In vielen Staaten weltweit wurden die Leitzinsgipfel bereits überschritten und eine weitere geldpolitische Lockerung in den kommenden Monaten ist wahrscheinlich. Dabei werden die Leitzinsen in der Eurozone aufgrund des schwächeren Wachstums stärker sinken als in den USA. In der Schweiz könnten die Zinsen aufgrund der schon heute unter einem Prozent liegenden Inflationsrate und wegen des stetigen Aufwertungsdrucks auf den Franken wieder in die Nähe der Nulllinie fallen. In Japan hingegen sind sukzessive und sehr vorsichtige Leitzinsanhebungen zu erwarten, da die Teuerung dort mittlerweile nachhaltig über 2 Prozent liegt.
Geldmarktnahe Verzinsungen im Euroraum dürften notenbankinduziert deutlich nachgeben. Bei längeren Laufzeiten ist aufgrund der anhaltend schwachen Konjunktur und sinkender Inflationsraten kurzfristig ebenfalls mit sinkenden Renditen zu rechnen. Im Laufe des Jahres sollte jedoch die Perspektive einer Konjunkturerholung wieder zu steigenden Zinsen führen. In den USA sind ähnliche Wirkungszusammenhänge maßgeblich, allerdings dürften die Zinsen wegen der robusten Konjunktur und des höheren Inflationsdrucks insgesamt weniger stark sinken als in der Eurozone. Stark steigende US-Staatsschulden würden sogar für Zinssteigerungsdruck sorgen.
Positive Aussichten für den Dollar, Gold und Aktien
Der Euro bleibt im Vergleich zum US-Dollar in seinem langfristigen Abwärtstrend. Zwar spricht der sinkende Wachstumsvorsprung der US-Wirtschaft für den Euro, allerdings dürften die US-Zinsen deutlich über dem Niveau in der Eurozone bleiben und den Dollar weiter stützen.
Goldnotierungen dürften von fallenden Zinsen und anhaltenden geopolitischen Unsicherheiten profitieren. Zudem wird der Trend erheblicher Käufe durch Notenbanken weltweit anhalten. Hintergrund sind v.a. Bemühungen, hohe USD-Reserven abzubauen. Zuletzt ist jedoch auch eine wieder gestiegene Nachfrage von Investmentseite zu vermelden. Anlass dafür dürften steigende Staatsschulden und die resultierende Unterminierung des Vertrauens in klassische Währungen sein.
Die überdurchschnittlich hohen Aktienkursgewinne im Jahr 2024 dürften sich im kommenden Jahr kaum wiederholen. Allerdings sind sowohl in den USA als auch in Europa nur wenige Aktien – vor allem aus dem Technologiebereich – für einen Großteil der Kursgewinne verantwortlich, die weiterhin von teilweise monopolartigen Positionierungen profitieren werden. Zudem sollten konjunktur- und zinssensitive Aktien aufholen können, die sich seit rund drei Jahren deutlich schlechter entwickelt haben. Insbesondere Digitalisierung und Automatisierung (v.a. durch KI) werden weiterhin zu den wesentlichen Megatrends der kommenden Jahre gehören. Demgegenüber rückt der Kampf gegen den Klimawandel sowie dessen Folgen wohl nur kurzzeitig aus dem Fokus. Perspektivisch sind verstärkte staatliche – und private – Investitionen in Infrastruktur, Gesundheit, Bildung, Sicherheit, den Umbau von Lieferketten und die Dekarbonisierung der Wirtschaft zu erwarten, von deren Umsetzung viele Unternehmen profitieren werden.