Kapitalmarktanalyse
Januar 2025 / Carsten Mumm, Chefvolkswirt
Konjunktur und Kapitalmarktumfeld
Die konjunkturellen Perspektiven Deutschlands und Europas hellten sich in den ersten Monaten des Jahres zunächst auf, gaben ab dem Sommer jedoch wieder verstärkt nach. Die Einkaufsmanagerindizes für das Verarbeitende Gewerbe in Deutschland, Frankreich, der Eurozone und Großbritannien lagen am Jahresende deutlich unterhalb der Marke von 50 Punkten und zeigten damit eine Fortsetzung der seit rund zwei Jahren andauernden Phase sinkender Industrieproduktion an. Bei Dienstleistern hingegen verbesserte sich die Stimmungslage zum Jahresende leicht. Die Stimmungslage deutscher Unternehmen gemäß ifo-Geschäftsklimaindex verharrte insgesamt auf Krisenniveau. Neben der Industrie und Dienstleistern zeigt die Umfrage unter Unternehmen auch im Handel und im Baugewerbe eine sehr schwierige aktuelle Geschäftslage und pessimistische Erwartungen an. Das GfK-Konsumklima verbesserte sich im Jahresverlauf nur leicht. Weiterhin hemmen geopolitische Unsicherheiten, die fehlende Planbarkeit der Politik in Deutschland, die Preisanstiege der letzten Jahre, die schwache Konjunktur und zunehmende Unternehmensinsolvenzen sowie zuletzt steigende Arbeitslosigkeit die Investitions- und Konsumbereitschaft. Die deutsche Wirtschaft wird im gesamten Jahr 2024 voraussichtlich erneut schrumpfen.
Immer deutlicher wurde im Jahresverlauf, dass die Standorte Deutschland und Europa im internationalen Vergleich stark an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt haben. Hintergründe sind neben Herausforderungen bei der Energieversorgung seit Ausbruch des Ukrainekriegs, weiter zunehmendem Protektionismus und der veränderten Rolle Chinas im internationalen Handel (Konkurrent anstatt nur Zulieferer) vor allem Standortfaktoren wie hohe Lohnnebenkosten, teils unzureichende Infrastruktur und zu viel Bürokratie bzw. langsame Verfahren. Entsprechend wurden von verschiedenen Seiten Vorschläge zur Ertüchtigung des Standorts erarbeitet, u.a. vom ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi. Bei den Europawahlen konnte sich die politische Mitte erneut eine Mehrheit sichern und die bisherige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen formierte eine neue EU-Kommission. Vorgezogene Neuwahlen in Frankreich und Großbritannien sorgten im Sommer für teils bis zum Jahresende anhaltende politische Unsicherheiten. Die Bundesregierung unter Kanzler Olaf Scholz verlor nach dem Platzen der Ampelkoalition im Herbst erwartungsgemäß das Misstrauensvotum im Bundestag und vorgezogene Neuwahlen in Deutschland wurden auf den 23. Februar 2025 terminiert.
In den USA hingegen zog der US-Präsidentschaftswahlkampf im Jahresverlauf zunehmend die mediale Aufmerksamkeit auf sich. Auch der kurzfristige Wechsel von Joe Biden zu Kamala Harris als Kandidatin der Demokraten konnte den überraschend eindeutigen Sieg des ehemaligen Präsidenten Donald Trump jedoch nicht verhindern. Seit der Wahl Anfang November wurden neben der Besetzung künftiger Regierungsposten bereits diverse politische Stoßrichtungen konkret angekündigt, u.a. die Erhöhung von Zöllen für Waren aus Kanada und Mexiko. Konjunkturell überraschte die US-Wirtschaft im gesamten Jahr positiv, wenngleich sich die Diskrepanz zwischen schwacher Stimmung in der Industrie und sehr positiven Aussichten im Dienstleistungssegment gegen Jahresende ausweitete. Getragen wurde das Wachstum von voraussichtlich knapp 3 Prozent im Gesamtjahr 2024 vor allem vom robusten privaten Konsum, der durch die nur leicht auf 4,2 Prozent angestiegene Arbeitslosenquote kaum beeinträchtigt wurde.
Weitgehend enttäuschend entwickelte sich die chinesische Wirtschaft. Trotz diverser Ankündigungen fiskal- und geldpolitischer Stützungsmaßnahmen durch die Regierung fiel vor allem die Entwicklung des privaten Konsums schwach aus. So stiegen die Einzelhandelsumsätze Chinas im November um nur 3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das Wachstumsziel von 5 Prozent für das Gesamtjahr dürfte daher nur knapp erreicht werden.
Die Inflationsraten gaben in Deutschland und in der Eurozone nach und unterschritten Ende des dritten Quartals den EZB-Zielwert von 2 Prozent, um gegen Ende des Jahres wieder leicht auf jeweils 2,2 Prozent anzusteigen. Deutlich gesunkene Energiepreise wurden durch stark steigende Löhne und damit eine höhere Preisdynamik bei Dienstleistungen teilweise kompensiert. Auch in den USA sank die Inflationsrate, verharrte aber mit 2,7 Prozent im November auf einem höheren Niveau. In China wurden zuletzt nur noch 0,2 Prozent Verbraucherpreisanstieg gemessen.
Notenbanken
Viele Notenbanken überschritten im Jahr 2024 den Leitzinsgipfel. Die Europäische Zentralbank (EZB) senkte nach längerem Zögern im Juni erstmals ihre Leitzinsen um 0,25 Prozentpunkte. Nach insgesamt vier Zinssenkungen lag der Einlagenzins am Jahresende bei 3,0 Prozent. Gleichzeitig wurden krisenbedingt aufgelegte langfristige Ausleihungen der Geschäftsbanken komplett zurückgezahlt und am Jahresende die Wiederanlage fälliger Wertpapierbestände beendet, wodurch sich die durch die Wertpapierkäufe der vorangegangenen Jahre aufgeblähte Bilanz der EZB weiter reduzierte. Auch die US-Notenbank Fed und die Bank of England begannen ab dem Sommer mit sukzessiven Leitzinssenkungen auf 4,25-4,50 bzw. 4,75 Prozent, während die Schweizerische Nationalbank ihren Leitzins aufgrund der zuletzt auf 0,7 Prozent gesunkenen Inflation auf nur noch 0,50 Prozent senkte. Erstmals seit 2007 leicht auf 0,25 Prozent angehoben wurden die Zinsen hingegen durch die Bank of Japan (BoJ).
Aktien
Viele Aktienindizes erreichten im Jahresverlauf neue Allzeithöchststände. So übersprang der Index der größten deutschen Aktiengesellschaften DAX im Dezember erstmals die Marke von 20.000 Punkten und beendete das Jahr mit einem Kursplus von knapp 19 Prozent bei 19.909 Punkten. Mit einem Jahresminus von 5,7 Prozent deutlich schwächer entwickelte sich hingegen der MDAX-Index der mittelgroßen deutschen Unternehmen. Leicht abwärts ging es im Vergleich zum Vorjahr für den französischen Aktienindex CAC 40. Der US-Standardwerteindex S&P 500 beendete das Jahr 2024 bei 5.906 Punkten knapp 24 Prozent höher, während der Technologieaktienindex NASDAQ sogar knapp 30 Prozent zulegen konnte. Japanische Aktien des NIKKEI 225 erreichten im Juli erstmals die Marke von 42.000 Punkten und überstiegen damit den bisherigen Rekord aus dem Jahr 1989. Der Schwellenländeraktienindex MSCI Emerging Markets legte im Gesamtjahr knapp 15 Prozent zu, wobei insbesondere chinesische Aktien trotz einer zwischenzeitlichen Rallye im September unterdurchschnittlich abschnitten.
Zinsen
Bei kurzen Laufzeiten fielen in Deutschland und den USA die Zinsen im Zuge der Leitzinssenkungen deutlich. Ab dem Laufzeitenbereich von 5 Jahren stiegen die Renditen von Bundesanleihen jedoch an, im Zehnjahressegment um rund 0,30 Prozentpunkte auf 2,36 Prozent p.a. Aufgrund einer Ratingherabstufung und wegen der politischen Unsicherheit weiterhin deutlich höher mit 3,23 Prozent p.a. rentierten am Jahresende französische Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit. Griechische Pendants lagen mit 3,19 Prozent p.a. knapp darunter. Die Rendite einer gleichlaufenden US-Staatsanleihe stieg auf 4,57 Prozent p.a. Bei Unternehmensanleihen sanken die Risikoprämien im Jahresverlauf trotz schwacher Konjunktur und steigender Insolvenzzahlen kontinuierlich auf den tiefsten Stand seit Anfang 2022.
Rohstoffe
Deutlich zulegen konnten die Notierungen von Edelmetallen. Während der Goldpreis um 26 Prozent auf 2.624 US-Dollar stieg und zwischenzeitlich ein Rekordhoch bei knapp 2.800 Dollar markierte, konnte der Silberpreis um rund 24 Prozent auf knapp 30 Dollar zulegen. Gold profitierte zunächst von einer stark gestiegenen Nachfrage vonseiten vieler Notenbanken, vor allem der chinesischen People‘s Bank of China. In der zweiten Jahreshälfte stieg auch die investmentgetriebene Nachfrage an. Der Preis für ein Barrel Rohöl der Nordseesorte Brent gab nach einem zwischenzeitlichen Anstieg auf mehr als 90 Dollar um 4,3 Prozent nach und notierte Ende 2024 bei 74,38 US-Dollar.
Währungen
Der Euro wertete im Vergleich zum US-Dollar deutlich von 1,10 auf knapp 1,04 EUR/USD ab. Gegenüber dem britischen Pfund fiel der Euro um 4,5 Prozent auf 0,83 EUR/GBP, während er im Vergleich zum Schweizer Franken leicht auf 0,94 EUR/CHF aufwertete. Schwächer entwickelte sich der japanische Yen. Nach zwischenzeitlich größeren Kurssprüngen im Zuge der Leitzinsanhebung der BoJ und einem Rekordtiefstand von 172 EUR/JPY notierte der Yen am Jahresende rund 10 Prozent tiefer bei 157 EUR/JPY.