11.05.2020
EZB: expansiver – trotzdem enttäuschend?
Nachdem kürzlich sowohl die US-Notenbank Fed als auch die Bank of Japan angekündigt hatten, künftig ohne Volumenlimit Staatsanleihen aufzukaufen, erwarteten einige Marktteilnehmer am 30. April anlässlich des Zinsentscheids der Europäischen Zentralbank EZB eine ähnlich lautende Äußerung – vergeblich. Deutliche Aktienkursverluste waren die Folge.
Dabei kündigte EZB-Präsidentin Lagarde – neben unveränderten Leitzinsen – einige weitere expansive geldpolitische Schritte an. So wurde die bisher bestehende zeitliche Limitierung des im Zuge der Coronakrise aufgelegten Wertpapierkaufprogramms (Pandemic Emergency Purchase Program, PEPP) von Ende 2020 aufgehoben. Lagarde verdeutlichte zudem, dass das Ankaufvolumen (bisher 750 Mrd. Euro) bei Bedarf jederzeit angehoben werden könne. Die für Wertpapierkäufe relevanten Emittenten-Ratings wurden per 7. April eingefroren, so dass spätere Rating-Herabstufungen unbeachtet bleiben. Den Geschäftsbanken der Eurozone werden noch günstigere Konditionen (bis -1 Prozent p.a.) für die ab Juni bereitstehenden langfristigen Refinanzierungsgeschäfte (TLTRO III) gewährt und zusätzlich über voll zuzuteilende „Pandemie-Refinanzierungen“ (PLTRO) Liquidität zur Verfügung gestellt.
Lagarde wenig hoffnungsvoll
Lagarde verdeutlichte in ihrem Statement im Rahmen der Pressekonferenz, dass Banken weiterhin alle notwendige Liquidität erhalten, um die zunehmende Kreditnachfrage bedienen und akute Liquiditätsengpässe vieler Unternehmen überbrücken zu können. Gleichzeitig berichtete sie von leicht strengeren Kreditvergabestandards und appellierte, das Kreditvolumen weiter hoch zu halten – kein einfaches Unterfangen angesichts derzeit kaum überschaubarer Auswirkungen auf Umsatz- und Ertragsentwicklungen in vielen Branchen.
Für die wirtschaftliche Entwicklung in der Eurozone zeigte sich Lagarde wenig hoffnungsvoll. Das Bruttoinlandsprodukt könnte in diesem Jahr um 5 bis 12 Prozent nachgeben. Die breite Spanne verdeutlicht die enorme Unsicherheit volkswirtschaftlicher Prognosen angesichts einer kaum berechenbaren Hauptkomponente der Krise – der Ausbreitung des Coronavirus. Auch das Ausmaß und die Geschwindigkeit der langsam beginnenden wirtschaftlichen Wiederbelebung sowie die mittelfristigen Inflationsperspektiven seien sehr unsicher. Das Wachstum der Geldmenge M3 ist im Zuge der zuletzt wieder expansiveren Geldpolitik der EZB von 5,5 Prozent im Februar auf 7,5 Prozent im März angestiegen – eine wichtige Stütze für die Kapitalmärkte. Wie üblich forderte Lagarde weitere fiskalische Stützungsmaßnahmen, besonders von den wirtschaftlich stärkeren und mit höheren finanziellen Spielräumen ausgestatteten Eurostaaten.
Die negative Marktreaktion
Die negative Marktreaktion zeigt, dass die EZB die Kapitalmarktteilnehmer derzeit nicht überraschen kann bzw. mit ihren wenig ermutigenden Einschätzungen zur wirtschaftlichen Entwicklung sogar enttäuscht hat. Da die Aktienkurse in den letzten Wochen bereits deutlich angezogen und die Risikoprämien für Staatsanleihen aus den südlichen Eurostaaten gesunken sind, war das allerdings auch nicht dringend notwendig. Vielmehr könnte man aus dem im Vergleich zu den letzten Pressekonferenzen fast verhaltenen Auftreten der EZB-Präsidentin eine besonders vorsichtige Kommunikationsstrategie schließen. Verunsicherungen wie nach dem letzten Zinsentscheid, durch die die Zinsen für italienische Staatsanleihen kurzfristig deutlich angestiegen sind, sollen gerade in der Akutphase der Krise verhindert werden. Im Bedarfsfall wird die Notenbank trotzdem kurzfristig bereitstehen, um ausufernde Turbulenzen an den Börsen zu beruhigen. Dann ist es hilfreich, noch einige Pfeile im Köcher zu haben.