30.07.2021
Mumm Briefing zum Wochenausklang
Die wieder steigenden Corona-Neufallzahlen in Deutschland und Frankreich, aber auch in anderen europäischen Nachbarstaaten, nähren die Befürchtung neuer Lockdown-Maßnahmen. Allerdings zeigt das Beispiel Großbritannien, dass eine Verbreitung der mittlerweile zumeist maßgeblichen Delta-Variante des Virus zwar deutlich schneller erfolgt, aber die Anzahl der schweren Verläufe deutlich geringer ausfällt. Zudem sind die besonders gefährdeten Bevölkerungsteile mittlerweile durch Impfungen weitgehend geschützt, so dass ggf. im Winterhalbjahr notwendige neue Restriktionen voraussichtlich mit weniger Einschränkungen des Wirtschaftslebens einhergehen würden als im vergangenen Winter. Auch hat vor allem die Industrie gelernt, mit notwendigen Vorsichtsmaßnahmen umzugehen und dürfte in ihrer Produktion kaum eingeschränkt werden.
Ein Risiko wäre allerdings das Auftreten weiterer neuer Varianten mit gravierenderen gesundheitlichen Folgen und daraus resultierender strikterer Lockdown-Maßnahmen. Die Wahrscheinlichkeit dafür steigt, je länger bevölkerungsreiche Regionen weitgehend ungeimpft mit der Pandemie umgehen müssen, wie in einigen Schwellenländern der Fall. In Nigeria, Sudan, Irak oder Afghanistan bspw. liegen die Impfquoten noch immer bei nur 1 bis 2,5 Prozent.
Die steigenden Corona-Fallzahlen sowie anhaltende Lieferengpässe und zunehmender Fachkräftemangel haben im Juli zu einer eingetrübten Einschätzung der Geschäftsaussichten vieler Unternehmen in Deutschland geführt. Entsprechend gab der ifo-Geschäftsklimaindex leicht nach, befindet sich allerdings noch immer im expansiven Bereich. Auch in den USA sorgten Kapazitätsengpässe und vor allem resultierende enorme Kostensteigerungen sowie Schwierigkeiten bei der Besetzung offener Stellen und Lohnanstiege für leicht nachgebende Einkaufsmanagerindizes.
Weniger stark als in den vergangenen Wochen dürften jedoch künftig die Rohölnotierungen anziehen. Nachdem sich die Staaten der OPEC+ (inkl. Russland) kürzlich auf eine monatliche Ausweitung der täglichen Fördermenge um 400.000 Barrel geeinigt hatten, wird das Angebot sich der konjunkturbedingt gestiegenen Nachfrage sukzessive anpassen. Zudem werden neue Berechnungsgrundlagen für die Förderquoten dafür sorgen, dass große Fördernationen wie Saudi-Arabien oder Russland tendenziell mehr Öl produzieren dürfen und es besteht die Möglichkeit, dass Iran im Falle erfolgreicher Verhandlungen mit den USA im Laufe der nächsten Monate als zusätzliche Mengen exportiert. Insgesamt dürfte damit der Rohölpreis in einer Spanne zwischen etwa 65 und 75 US-Dollar verharren (Nordsee-Sorte Brent).
In Deutschland wurde für Juli ein deutlicher Anstieg der Inflationsrate von 2,3 auf 3,8 Prozent vermeldet. Dieser Effekt war grundsätzlich erwartet worden, da die Wiedererhöhung der per Juli letzten Jahres auf 16 Prozent abgesenkten Mehrwertsteuer im Vorjahresvergleich jetzt und bis Jahresende wirksam wird. Trotzdem untermauern die Daten die zuletzt vielfach geäußerten Befürchtungen einer strukturell steigenden Inflation in den kommenden Jahren. Entscheidend dafür ist, ob sich diese Erwartung bei Unternehmen, Arbeitnehmern und Verbrauchern verfestigt.
Auch in den USA wurde mit 5,4 Prozent bzw. 4,5 Prozent in der Kernrate – exkl. Nahrungsmitteln und Energie – eine erneut deutlich gestiegene Inflationsrate vermeldet. Maßgeblich unterstützt wurde diese Entwicklung durch kapazitätsbedingt stark steigende Produktionskosten, die allerdings von den Unternehmen weitgehend an die Endverbraucher weitergereicht werden konnten und die Margen stabil hielten. Entsprechend fällt auch die derzeit laufende Berichtssaison der Unternahmen für das 2. Quartal sehr positiv aus. Die schon hohen Erwartungen an die Gewinnentwicklung konnte vor allem in den USA von der überwiegenden Mehrheit der Unternehmen noch übertroffen werden.
Die US-Notenbank Fed geht weiterhin von nur temporär höheren Inflationsraten aus und plant entsprechend kurzfristig keine Änderung ihres ultra-expansiven geldpolitischen Kurses. Es ist allerdings davon auszugehen, dass eine konkrete Ankündigung einer sukzessiven Reduktion ab dem 4. Quartal im August oder September angekündigt wird. Die EZB ist von diesem Schritt noch weit entfernt. Für die Börsen relevanter war Anfang Juli die Verkündung der neuen geldpolitischen Strategie, nach der das Inflationsziel nicht wie bisher bei nahe aber unter, sondern bei genau 2 Prozent liegen wird. Dabei handelt es sich um eine symmetrische Betrachtung, d.h. Abweichungen nach unten wird genauso entgegengewirkt, wie Abweichungen nach oben. De facto nähert sich die EZB damit der Strategie des durchschnittlichen Inflationsziels von 2 Prozent der US-Notenbank Fed an. Die Auswirkung wird eine eher noch länger sehr expansive Ausrichtung der Geldpolitik sein. Zudem soll perspektivisch selbst genutztes Wohneigentum in die Inflationsberechnung stärker mit einbezogen werden.
Die Grundkonstellation für die internationalen Börsen ändert sich in den kommenden Wochen kaum: tief negative Realzinsen unterstützen reale Anlageklassen, wie Aktien, Edelmetalle und Immobilien. Entsprechend werden kleinere Rücksetzer immer wieder zum Nachkaufen genutzt. Allerdings zeigen die zwar positiven im Ausmaß aber verhaltenen Reaktionen der Aktienkurse auf die derzeitige Berichtssaison, dass viel Positives bereits eingepreist ist. Wir gehen daher in den kommenden Monaten von moderat steigenden Aktienkursen aus. Dabei dürften bestehende Risikofaktoren, v.a. zunehmenden geopolitischen Spannungen zwischen den USA und China, steigende Corona-Fallzahlen sowie inflationsbedingt steigende Befürchtungen einer früher als bisher erwarteten weniger expansiven geldpolitischen Ausrichtung immer einmal wieder für kleinere Kursrückgänge sorgen.