02.03.2020
Corona versetzt internationale Kapitalmärkte in Panik – die weiteren Perspektiven
Historie und aktuelle Lage
Aus medizinischer Sicht bewegen sich die Auswirkungen des Coronavirus nach wie vor im Rahmen einer nicht unüblichen Grippewelle. Derzeit schreibt das Robert Koch Institut zur „Risikobewertung COVID-2019“: „Mit einem Import von weiteren Fällen nach Deutschland muss gerechnet werden. Auch weitere Übertragungen, Infektionsketten, lokale Infektionsgeschehen und Ausbrüche sind in Deutschland möglich. Die Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung wird in Deutschland aktuell als gering bis mäßig eingeschätzt. Eine weltweite Ausbreitung des Erregers ist wahrscheinlich“. Ebenfalls nach Angaben des Instituts starben in der außergewöhnlich starken Grippewelle 2017/2018 allein in Deutschland etwa 25.000 Menschen. Vor diesem Hintergrund erscheint die aktuell enorme mediale und öffentliche Aufmerksamkeit der Corona-Epidemie schon erstaunlich.
Für Verunsicherung sorgte zunächst vor allem die konsequente und massive Reaktion der chinesischen Behörden zur Eindämmung der Krankheitswelle. Einige Millionen Menschen quasi unter Hausarrest zu stellen und ganze Städte und Regionen abzuriegeln, ist definitiv bemerkenswert – aber auch nachvollziehbar, wenn man beachtet, dass anfangs noch nicht klar war, um welchen Erreger es sich handelt. Die Verunsicherung stieg vor allem in Europa noch einmal deutlich an, nachdem es in Italien zu vermehrten Infektionen kam und dort ebenfalls ganze Ortschaften abgeriegelt wurden. Auch diese Reaktion der Behörden ist verständlich, denn niemand möchte sich nachsagen lassen, das Ausmaß der Bedrohung durch den neuen Virus unterschätzt zu haben.
Auswirkungen auf die Wirtschaft
Die Verbreitung des Coronavirus trifft die Weltwirtschaft in einer Phase einer ohnehin schwächelnden Wachstumsdynamik. Einzelne Volkswirtschaften, wie bspw. Deutschland, befinden sich schon länger am Rande einer Rezession. Die noch am Jahresanfang bestehenden Hoffnungen auf eine anstehende konjunkturelle Stabilisierung sind zumindest mit Blick auf das erste Quartal 2020 nicht mehr haltbar. Vielmehr werden die realwirtschaftlichen Auswirkungen der Epidemie immer offensichtlicher. Besonders gravierend ist, dass es sich gleichzeitig um einen Angebots- und Nachfrageschock handelt. Einerseits werden durch Stillstände in der Produktion von Vorleistungsgütern Lieferketten unterbrochen. Andererseits fehlt aufgrund der Quarantänemaßnahmen und massiv eingeschränkter Reisetätigkeiten ein großer Teil der Konsumnachfrage. Großveranstaltungen, wie die Reisemesse ITB in Berlin oder der Genfer Autosalon wurden abgesagt. Zudem sind parallel nahezu alle volkswirtschaftlichen Sektoren betroffen: Investitions- und Konsumgüterindustrie genauso wie Dienstleitungen und die Bauwirtschaft.
Allein der schon heute absehbare deutliche Rückgang des chinesischen BIP-Wachstums im ersten Quartal beeinflusst wirtschaftlich eng mit China verbundene Volkswirtschaften negativ. In Deutschland wird daher ein negatives Wachstum im ersten Quartal immer wahrscheinlicher. Einmal mehr wird die große Stärke der deutschen Volkswirtschaft, der Export, zur anfälligen Schwachstelle. Kurzfristig ist davon auszugehen, dass auch in Europa noch weitere Unternehmen ihre Produktion einstellen müssen, weil es etwa bei wichtigen Vorleistungen Lieferengpässe gibt oder die Nachfrage wegbricht. Das wird sich definitiv auch global in teilweise deutlich sinkenden Unternehmensgewinnen niederschlagen. Die ersten Gewinnwarnungen wurden bereits veröffentlicht. Lufthansa kündigte einen verschärften Sparkurs an, um den Corona-bedingten Ergebniseinbruch abzumildern. Die Deutsche Post und BASF wiesen auf noch unbestimmte Ergebnis-Belastungen hin, die gem. BASF im weiteren Jahresverlauf nicht vollständig wieder aufgeholt werden könnten.
Weitere Perspektiven
In China deutet sich aktuell eine Entspannung der Lage an. So liegt die Anzahl der Neuinfektionen außerhalb der Hubei-Provinz derzeit nur noch im einstelligen Bereich pro Tag. Einige Indikatoren belegen eine langsame Rückkehr zur Normalität, etwa eine zunehmende Zahl von Verkehrsteilnehmern, die Wiedereröffnung von Starbucks-Filialen oder eine ansteigende Stahlproduktion. Umfragen der EU-Handelskammer in China zufolge rechnen etwa die Hälfte der befragten Unternehmen mit Gewinnrückgängen im ersten Halbjahr 2020 im zweistelligen Prozentbereich, ein Viertel erwartet hingegen einen Einbruch der Gewinne um über 20 Prozent. Auch hier werden fehlende Gewinne nicht in allen Fällen durch Nachholeffekte ausgeglichen werden können, da bspw. einmal ausgefallener Umsatz für Konsum des nicht dringend notwendigen täglichen Bedarfs, etwa für Restaurantbesuche, kaum durch höhere Ausgaben der Verbraucher zu einem späteren Zeitpunkt überkompensiert wird.
Die Situation in China könnte – unter der Annahme, dass sich die Stabilisierung sukzessive fortsetzt – für den Rest der Welt als Blaupause dienen. Sobald die Anzahl der Neuinfektionen auch außerhalb Chinas zurückgeht, ist daher mit der Nachholung aufgeschobener Investitions- und teilweise auch Konsumentscheidungen zu rechnen. Aus heutiger Sicht spricht somit einiges dafür, dass im Laufe des zweiten Quartals die Produktionsniveaus von Ende 2019 wieder erreicht werden können.
Allerdings dürfte es als Reaktion auf die Erfahrungen mit dem Coronavirus auch mittel- bis langfristige Konsequenzen geben. So werden die chinesische und ggf. auch andere Regierungen ihre Investitionen in das Gesundheitssystem wohl deutlich erhöhen, um in einem möglichen Wiederholungsfall keinen Zweifel an ihrer Handlungsbereitschaft und Vorsorgefähigkeit aufkommen zu lassen. Zudem werden sich global tätige Unternehmen im Nachgang genau überlegen, ob sie etwaige hohe Abhängigkeiten, z.B. bei Zulieferungen, von einzelnen Unternehmen und/oder Regionen nicht besser diversifizieren sollten. Solche strukturellen Anpassungen von Nachfrage sowie Produktionsprozessen bzw. Lieferketten bergen für einzelne Unternehmen große Chancen oder auch erhebliche Risiken.
Auswirkungen auf die Kapitalmärkte
Die internationalen Börsen haben in den letzten Tagen einen kurzfristigen Realitätsschock durchlebt. Bis Ende letzter Woche passten die Rekordstände bei vielen Aktienindizes kaum zur realwirtschaftlichen Situation. Mit der Ausbreitung des Coronavirus außerhalb Chinas wurde offensichtlich vielen Marktteilnehmern bewusst, dass die Auswirkungen der Corona-bedingten Produktionsausfälle doch teilweise erhebliche zusätzliche Belastungen erzeugen. Entsprechend schnell kam es dann innerhalb weniger Tage zu einer deutlichen Korrektur der Aktienkurse. Volatilitätsindizes sind global teilweise auf Mehrjahreshochs angesprungen und zeugen von der kurzfristig entstandenen Panikmodus, in dem sich Anleger derzeit offensichtlich befinden. Wenn die Herde an der Börse einmal in eine Richtung losgerannt ist, kennt sie so schnell kein Halten. Das erleben wir gerade. In dieser Situation spielen fundamentale Aspekte kaum noch eine Rolle. Kurzfristig sind weitere Verluste daher wahrscheinlich.
Selbst wenn die Realwirtschaft und damit die Unternehmensgewinne noch einige Monate unter den Corona-bedingten Auswirkungen leiden, dürften die Aktienmärkte die folgende wirtschaftliche Erholung jedoch wie üblich zeitnah vorwegnehmen. Zwar sind die noch kürzlich erreichten Rekordstände vieler Aktienindizes vorerst in weite Ferne gerückt. Die aktuellen Niveaus oder gar in den kommenden Tagen weiter nachgebende Kurse bieten trotzdem eher Einstiegschancen, denn wesentliche marktstützende Parameter haben sich nicht verändert. Vor allem die weltweit wieder expansivere Geldpolitik mit dem resultierenden strukturellen Niedrigzinsumfeld und die anstehenden US-Präsidentschaftswahlen sind gewichtige stabilisierende Faktoren. Fiskalische und geldpolitische Stützungsmaßnahmen sind bei einer weiteren Verschärfung der Situation ebenfalls wahrscheinlich. Anders als noch vor wenigen Tagen wird von der US-Notenbank Fed noch im März eine Leitzinssenkung um mindestens 25 Basispunkte erwartet.
Unter der Basisannahme, dass die Verbreitung des Coronavirus spätestens mit dem einsetzenden Frühling auf der Nordhalbkugel an Dynamik nachlässt und dass in China die Neuinfektionszahlen weiter zurückgehen, besteht gerade in Branchen, die unter der Korrektur besonders gelitten haben, eine gute Möglichkeit zum Positionsaufbau, etwa bei Unternehmen aus der Luftfahrt, bei Reiseveranstaltern oder Konsumgüter- bzw. Luxusgüterherstellern. Die „sicheren Häfen“ der Kapitalanlage, wie Bundesanleihen, Gold, der Schweizer Franken oder der US-Dollar dürften trotzdem vorerst gefragt bleiben – zumindest solange der Panikmodus anhält.