Asset Management
3. Januar 2024 / Sadettin Yildiz, Chief Investment Officer
Vor nicht allzu langer Zeit war von Kapitalmarktteilnehmern oft zu hören, die Zinsen würden nie wieder steigen – jedenfalls nicht signifikant. Als Hauptgrund dafür wurde vor allem die Verschuldung der Staaten, mit Fokus auf die Eurozone, vorgetragen. Knapp zwei Jahre nach der ersten Zinserhöhung der amerikanischen Zentralbank mit einer rasanten Geschwindigkeit bis auf 5,5% wurde diese Sicht bekannterweise mit Wucht widerlegt. Auslöser wiederum war eine Inflation, wie sie seit den 1970ern nicht mehr aufgetreten war. Seit Einführung des Euros blieb die Inflation lange bei ca. 2%, dem Inflationsziel der EZB. Mit der globalen Finanzkrise, beginnend 2008, änderte sich das Bild strukturell mit einer durchschnittlichen Inflationsrate von nur ca. einem Prozent.
Deflationsangst bzw. Angst vor dem „Japan-Szenario“ prägten die Diskussion. Wer damals das Geschehen an den Kapitalmärkten aus der Nähe verfolgt hat, kann sich sicherlich gut an Schlagwörter wie „säkulare Stagnation“, „Liquiditätsfalle“ oder „deflationärer Crash“ erinnern. Damit sollte auf Gefahren für die Ökonomie und die Finanzstabilität hingewiesen werden, die es mit aller Gewalt zu verhindern galt. Gerade die EZB mit ihrem damaligen Präsidenten Mario Draghi („Whatever it takes…“) nutzte diese Befürchtungen für eine nie dagewesene „Nullzinspolitik“ – mit der Folge von negativen Realrenditen für Anleiheinvestoren.
Geldpolitische Exzesse
Diese Zeit der „finanziellen Repression“ konnte also nur mit der jüngsten Periode von massiven Zinserhöhungen überwunden werden. Der tiefe Schmerz der Inflation nach der Corona-Pandemie war somit notwendig, um die Zentralbanken aus der Nullzins-Lethargie mitsamt ihren geldpolitischen Exzessen der letzten 10 Jahre wachzurütteln. Dieser Neustart bringt wiederum Implikationen mit sich und macht eine Neuorientierung der zukünftigen Geldpolitik notwendig. Insbesondere stellt sich die Frage nach dem neutralen Satz des Leitzinses in dieser neuen (alten) Welt. Wie hoch darf bzw. muss der Leitzins also sein, damit die Ökonomie nicht „leidet“ bzw. die Inflation nicht „angefacht“ wird? Diese Frage ist nicht trivial und wird in Fachkreisen kontrovers diskutiert werden müssen.
Sicher scheint nur eines: Der neutrale Zinssatz wird in absehbarer Zeit höher liegen als in den letzten zehn Jahren. Eine simple Folge davon ist aus unserer Sicht weniger Rückenwind für die Assetklassen, die in Folge der Nullzinspolitik am meisten profitiert haben. Dazu gehören vor allem eher illiquide Werte wie Immobilien und Anlagen in Private Equity. Immerhin: Der gemeine Sparer profitiert von der realen Verzinsung, die – wie vor der globalen Finanzkrise – positiv bleiben sollte.
Gute Aussichten für Aktien und Anleihen
Nichtsdestotrotz gibt es für 2024 sehr gute Gründe, nicht in Cash-Anlagen investiert zu bleiben. Im Gesamtkontext sind wir für 2024 optimistisch und sehen vor allem deutliche Gewinne für Aktien und Anleihen.
Wie begründen wir das? Die wichtigsten globalen Zentralbanken haben im Zuge fallender Inflationskennzahlen begonnen, kommunikativ eine Richtungsumkehr ihrer Geldpolitik einzuleiten. Wir erwarten Zinssenkungen der EZB und der FED bereits im 1. Quartal und sehen weitere Schritte im Laufe des Jahres 2024. Sollte zudem die wirtschaftliche Entwicklung schwächer als erwartet ausfallen, so würde dies aus unserer Sicht zu einer Beschleunigung der Zinssenkungen führen. Die Wahrscheinlichkeit für dieses Szenario stufen wir jedoch als eher niedrig ein.
In unserem Hauptszenario erwarten wir somit keine Rezession auf globaler Ebene. Das im Vergleich niedrigste Wachstum erwarten wir in der Eurozone, möglicherweise einhergehend mit einer milden Rezession. Die Wachstumsaussichten in den USA schätzen wir innerhalb der entwickelten Länder hingegen am stärksten ein. Hauptgründe sind das verfügbare Einkommen der Konsumenten im Beisein der Fiskalprogramme.
Das Goldilocks-Szenario: Die beste aller Welten
Generell sind wir mit Blick auf die Risikomärkte optimistisch. Die Zinssenkungs-Fantasien und -Aussichten aufgrund fallender Inflation sollten einen Puffer bei adversen Entwicklungen bieten. In Verbindung mit niedrigen, aber positiven Wachstumsraten, könnte gar das Szenario der „Goldilocks“ eintreten – die beste aller Welten für die Kapitalmärkte. In so einem Fall sollte der Anleihebereich knapp zweistellige Resultate erwirtschaften und der Aktienbereich deutlich darüber liegen.
Gerade bei Aktien wird es auf die Selektion der richtigen Sektoren, aber auch Investmentstile ankommen. Neben dem „Dauerfavoriten“ Technologie mit dem besonderen Bezug zu generativer KI sehen wir für 2024 gute Chancen für den Bereich der Value-Titel.
Gleichzeitig rücken auch die Schwellenländer, mit Ausnahme China, aus unserer Sicht wieder in den Fokus der Investoren. Dies gilt für Anleihen in lokaler- und Fremdwährung und auch für Aktien. Hier locken gute Wachstumsaussichten und ein überdurchschnittlicher Vorteil aufgrund potenziell niedrigerer Dollarfinanzierungen die Investoren.
Langfristig wird die Frage nach dem „neutralen“ Leitzins für die Zentralbanken und die Investoren eine zentrale Rolle einnehmen. Es spricht vieles dafür, dazu den groben Rahmen der Zeit vor der Finanzkrise zu betrachten. Die neutrale Rate könnte daher eine Summe aus den Erwartungen für Inflation und Wachstum abzüglich der Produktivitätssteigerungen darstellen. Nimmt man für ersteres den Zielwert der EZB inklusive einer leichten Verfehlung an und geht von leicht höheren Wachstumswerten als im letzten Jahrzehnt aus, könnte die neutrale Rate für die Eurozone im Bereich von 2,5% bis 3% liegen. Das entspricht dem Spektrum vor der globalen Finanzkrise. So gesehen liegt die Zukunft in der Vergangenheit.