Märkte mit Mumm
4. Dezember 2023 – Carsten Mumm, Chefvolkswirt
Das Kapitalmarktumfeld: zinssensible Konjunktur
Die konjunkturellen Perspektiven für Deutschland und die Eurozone konnten sich zuletzt stabilisieren, allerdings auf sehr schwachen Niveaus. Sowohl der ifo-Geschäftsklimaindex als auch die HCOB-Einkaufsmanagerindizes legten zwar leicht zu. Während die Industrie und die Bauwirtschaft aber weiter unter zu geringer Nachfrage leiden, trüben sich auch die Aussichten für Dienstleister und den Handel angesichts einer sinkenden Konsumbereitschaft zunehmend ein. Erste Anzeichen deuten darauf hin, dass das Weihnachtsgeschäft in diesem Jahr enttäuschen könnte, denn die allgegenwärtigen, erheblich gestiegenen Preise veranlassen viele Konsumenten zum Sparen. Hinzu kommen unsichere Einkommens- und Konjunkturerwartungen, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Nachtragshaushalt 2021 künftig voraussichtlich sinkenden Staatsausgaben und -investitionen.
Verstärkt werden dürfte die Verunsicherung von Verbrauchern durch eine sich abzeichnende kurzfristig schwächere Entwicklung am Arbeitsmarkt – trotz weiterhin bestehendem ausgeprägten Fachkräftemangel. So hat die Zahl der Arbeitslosen nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit im November saisonbereinigt um 22.000 zugenommen. Die Arbeitslosenquote in Höhe von derzeit 5,6 Prozent liegt damit um 0,3 Prozentpunkte höher als vor einem Jahr.
In den USA entwickelte sich die Konjunktur trotz straffer Geldpolitik erneut stärker als erwartet. Das Bruttoinlandsprodukt stieg im dritten Quartal um 5,2 Prozent (annualisiert) und übertraf damit die vorläufigen Schätzungen um 0,3 Prozentpunkte. Die Vorzeichen für das laufende vierte Quartal deuten jedoch auf eine künftig schwächere Tendenz hin. So überraschte der Oktober-Arbeitsmarktbericht mit weniger neu geschaffenen Beschäftigungsverhältnissen und einem Anstieg der Arbeitslosenquote auf 3,9 Prozent negativ. Zudem sorgte der erneut aufflammende Haushaltsstreit im US-Kongress, der kurz vor einem möglichen Ausgabenstopp der Regierung nur durch eine erneute Übergangsregelung vermieden werden konnte, für Verunsicherung.
„Die Inflation in der Eurozone hat sich im November deutlich abgeschwächt – in Deutschland erreichte sie mit 3,2 Prozent den tiefsten Stand seit Juni 2021. Trotzdem deutete die Europäische Zentralbank (EZB) an, dass die Leitzinsen aufgrund aufwärtsgerichteter Inflationsrisiken vorerst auf den aktuell hohen Niveaus bleiben sollten.“
Das von der US-Notenbank Fed favorisierte Maß der Inflation (PCE-Kerninflation) sank im Oktober von 3,7 auf 3,5 Prozent.
Zinsen: fallende Renditen
Die Renditen von Bundesanleihen gaben in allen Laufzeitenbändern nach, bei zehnjährigen Anleihen auf 2,42 Prozent p.a. und damit auf den tiefsten Stand seit Anfang August. Die Renditen von zehnjährigen US-Staatsanleihen fielen auf 4,30 Prozent p.a. im Zuge zunehmender Hoffnungen auf baldige Zinssenkungen der US-Notenbank Fed. Risikoprämien für Unternehmensanleihen gaben überwiegend weiter nach.
Aktien: deutlich steigend
Der deutsche Leitindex DAX setzte im November seine Jahresendrallye fort. Angetrieben von sinkenden Inflationsdaten, fallenden Zinsen und Spekulationen auf baldige Leitzinssenkungen stieg der Index um mehr als 9 Prozent auf 16.215 Punkte. Der Eurozonen-Leitindex EUROSTOXX 50 verbuchte ein Plus von 8,8 Prozent. Der US-Standardwerteindex S&P 500 stieg um 8,9 Prozent im Vergleich zum Vormonat, der Technologieindex Nasdaq 100 sogar um 10,7 Prozent.
Währungen: uneinheitlich
Der Euro profitierte von der anhaltenden Dollarschwäche und legte um rund 3 Prozent auf 1,09 EUR/USD zu. Gegenüber dem Schweizer Franken und dem britischen Pfund wertete der Euro im Monatsverlauf hingegen ab. Kaum verändert bei 161 EUR/JPY blieb hingegen die Notierung im Vergleich zum japanischen Yen.
Rohstoffe: Gold stärker, Rohöl schwächer
Der Preis für eine Feinunze Gold stieg im Zuge sinkender Zinsen und des schwächeren Dollar auf 2.035 US-Dollar und damit nahe an sein Allzeithoch bei 2.050 Dollar. Rohölnotierungen gaben im Monatsvergleich hingegen um rund 6 Prozent auf 80,33 Dollar pro Barrel nach (Sorte Brent).
Krypto-Anlagen: sehr positiv
Auch Bitcoin & Co. profitierten im November von den Entwicklungen der Zinsen und dem schwächeren US-Dollar. Während Bitcoin um 8,8 Prozent auf 37.713 Dollar zulegte, stieg Ether sogar um 13 Prozent auf 2.052 Dollar.
Implikationen für Anlegerinnen und Anleger
Die Zinsentwicklung bleibt wohl vorerst der wichtigste Dreh- und Angelpunkt für viele Kursbewegungen an den Börsen. Es wird deutlich, dass die langjährige Phase von Null- und Negativzinsen hinter uns liegt – zum Glück! Denn in den Zeiten ultra-expansiver Geldpolitik spielte die wichtige Lenkungsfunktion des Zinses kaum eine Rolle, mit erheblichen Nebenwirkungen. So wurden viele Anleger zwangsläufig in immer risikoreichere Anlageformen getrieben, weil es keine verzinslichen Anlagealternativen gab. Dadurch stiegen die Kurse nahezu aller Anlageklassen über fundamental gerechtfertigte Niveaus an – mit der Folge deutlicher Preiskorrekturen nach der Zinswende des Jahres 2022. Zudem wurde Kapital in Unternehmen gebunden, die teils keine funktionierenden Geschäftsmodelle hatten, sich aber aufgrund geringer Refinanzierungskosten trotzdem noch lange am Markt halten konnten. Diese Fehlallokationen von Kapital werden derzeit korrigiert, indem der zinsgesteuerte Marktmechanismus wieder stärker greift. Die resultierenden erhöhten Insolvenzzahlen sind Teil dieser notwendigen Normalisierung, zumal diese im historischen Vergleich immer noch niedrig ausfallen und gerade einmal das Niveau von 2019 wieder erreicht haben. Am Ende führt dieser Prozess zu effizienteren Marktprozessen und Ergebnissen, von denen Unternehmen, Mitarbeitende und Anleger profitieren werden.
Nach den unerwartet deutlichen Kursgewinnen in nahezu allen Anlageklassen – trotz überwiegend wenig optimistischer Nachrichtenlage – im November wird die Luft für kurzfristig weiter steigende Kurse dünner. Allerdings ist derzeit bis zum Jahresende auch keine größere Korrektur wahrscheinlich, sofern nicht einer der zahlreichen geopolitischen Brandherde weiter eskaliert. Für etwas Ernüchterung dürfte die rund um den Jahreswechsel absehbar wieder steigende Inflationsrate in Deutschland sorgen. Grundsätzlich ist jedoch in den kommenden Monaten von weiter sinkenden Zinsen und ab dem Frühjahr möglicherweise von ersten Leitzinssenkungen in den USA auszugehen, so dass die Erleichterung über niedrigere Refinanzierungskosten bzw. die nachlassende Attraktivität verzinslicher Anlagen Aktien, Edelmetalle und Krypto-Anlagen weiter unterstützen sollte.