01.07.2019
Aussichten für das zweite Halbjahr 2019: zunehmend bewölkt!
Die gravierendste Fehleinschätzung im Vorwege des Jahres 2019 betraf zweifellos die Europäische Zentralbank EZB und die US-Notenbank Fed. Noch im 4. Quartal des letzten Jahres wurde allgemein mit Leitzinsanhebungen in den USA gerechnet. Gut 6 Monate später liegt die Markterwartung bei mindestens drei Leitzinssenkungen für das zweite Halbjahr. Von der EZB wurden nach der Beendigung der Nettowertpapierkäufe ab Januar zwar kaum weitere restriktive Schritte erwartet. Dass seit Mitte Juni jedoch eine Senkung des ohnehin schon negativen Einlagenzinses für Banken und ggf. die Wiederaufnahme der Wertpapierkäufe in der Diskussion stehen, hatte kaum jemand im Blick. So waren die bemerkenswerten Kehrtwenden der beiden Notenbanken die entscheidenden Impulse für die unerwartet deutliche Rallye der internationalen Aktienmärkte im ersten Halbjahr 2019. Gleichzeitig wurde die Verzinsung einer zehnjährigen Bundesanleihe unter die historischen Tiefststände von Mitte 2016 getrieben und Gold notiert auf dem höchsten Stand seit 6 Jahren.
Wie sind vor diesem Hintergrund die Aussichten für die zweite Jahreshälfte? Die fundamentale Situation der Weltwirtschaft hat sich weiter eingetrübt. Dabei wurde der zyklische Abschwung nach der Boomphase 2017 durch diverse politische Einflussfaktoren erheblich beschleunigt. Vor allem die immer weiter eskalierenden Handelskonflikte bewirkten eine gestiegene Verunsicherung und somit einen Rückgang von Exporten, Investitionen und zunehmend des Konsums. Daran ändert auch die Wiederaufnahme von Verhandlungen zwischen China und den USA sowie der vorläufige Verzicht auf weitere Zölle nach dem G20-Gipfel Ende Juni vorerst nichts. Sollte es in den kommenden Wochen nicht zu nennenswerten Fortschritten kommen und zusätzlich noch ein harter Brexit sowie ggf. weitere Eskalationen im Nahen Osten hinzukommen, besteht die konkrete Gefahr einer Rezession für Deutschland und Europa. Nur die Annahme eines glimpflichen Verlaufs aller genannten Problemfelder rechtfertigt die Erwartung einer stärkeren wirtschaftlichen Belebung nach einem voraussichtlich negativen zweiten Quartal für das deutsche Wirtschaftswachstum.
Wichtige Gradmesser für die weiteren Entwicklungen sind für Deutschland der ifo-Geschäftsklimaindex bzw. international die Einkaufsmanagerindizes. Der überwiegende Teil dieser Stimmungsumfragen bei Unternehmen zeigt seit Monaten eine immer stärkere Skepsis bei der Beurteilung der künftigen Geschäftsaussichten an. Dabei zeigt sich in Deutschland eine Zweiteilung: während das Verarbeitende Gewerbe – also die Industrie – schon lange in der Rezession steckt, konnten die stärker vom Konsum abhängigen Komponenten Handel und Dienstleistungen sowie der Bau die konjunkturelle Restdynamik aufrecht erhalten. Die Juni-Veröffentlichung des ifo-Index zeigte jedoch auch im Dienstleistungsbereich eine zunehmende Abwärtstendenz. Unterstrichen wurde diese Entwicklung zuletzt von einem Abrutschen des GfK-Konsumklimaindex unter die Marke von 10 Punkten.
Auch in den USA deutet sich eine beginnende synchrone Abschwächung des Verarbeitenden Gewerbes, des Dienstleistungssektors und des Konsums an – wenngleich noch auf deutlich höheren Niveaus. Wenn diese Tendenz anhält, sollten Anleger die kommenden Veröffentlichungen des monatlichen US-Arbeitsmarktberichtes besonders beachten. Aufgrund der hohen Flexibilität der Unternehmen führen konkrete Anzeichen einer wirtschaftlichen Abschwächung in den USA relativ schnell zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit und könnten den Konsums weiter schwächen. Zwar befindet sich die US-Volkswirtschaft derzeit nahezu im Status der Vollbeschäftigung, trotzdem wäre eine sinkende Beschäftigung Gift für die Wiederwahl-Ambitionen von Präsident Donald Trump. Deshalb ist grundsätzlich davon auszugehen, dass auch die US-Administration kein Interesse an einer endlosen weiteren Eskalation der Handelskonflikte mit zweifellos negativen Auswirkungen auch auf die eigene Ökonomie hat. Auf der anderen Seite ist der Handel als Wahlkampfthema zu wichtig, als das Trump es mit einer kurzfristigen Pauschallösung vorschnell aus der Hand geben würde.
Dass in diesem Umfeld die ohnehin schwache Inflation anzieht, ist kaum zu erwarten. Damit haben die Notenbanken die Rechtfertigung, ihre Geldpolitik tatsächlich wieder expansiver auszurichten. Deutlich steigende Zinsen bei deutschen Bundesanleihen sind somit sowohl bei kurzen als auch bei langen Laufzeiten kaum zu erwarten. Gold dürfte nach dem zwischenzeitlichen Durchstoßen des Widerstandes von 1.400 US-Dollar und angesichts der allgegenwärtigen Unsicherheiten gefragt bleiben.
Ob die Aktienmärkte allerdings noch einmal eine dem ersten Halbjahr vergleichbare Wertentwicklung verzeichnen können, ist vor dem Hintergrund der realwirtschaftlichen Situation höchst fraglich. Eine alte Börsenweisheit heißt zwar „Never fight the Fed“ – frei übersetzt „Handle nicht gegen die Notenbanken“ und die manifestierte Negativzinslage lässt im Vergleich zur Aktie immer weniger Alternativen attraktiv erscheinen. Allerdings nutzt sich das beste Schwert – in diesem Fall die expansive Geldpolitik – mit zunehmender Nutzung immer stärker ab. Auch in Japan sind trotz jahrzehntelanger Nullzinspolitik die Aktienbörsen nicht dauerhaft gestiegen. Es ist daher zumindest davon auszugehen, dass es zwischenzeitlich immer wieder zu deutlicheren Rückschlägen bei Aktien kommen wird.
Ein zunehmend wichtiger Einflussfaktor für die Börsen wird die Entwicklung der wichtigsten Währungsrelationen, vor allem des Euro im Vergleich zum US-Dollar, sein. Diese wiederum hängt entscheidend von der Zinsdifferenz ab. Wahrscheinlich ist, dass der Unterschied von derzeit ca. 230 Basispunkten zwischen zehnjährigen US- bzw. deutschen Staatsanleihen eher abnehmen als weiter zunehmen wird. Dafür spricht, dass die US-Notenbank größeres Potenzial für Zinssenkungen hat. In den letzten Wochen konnte man den Eindruck gewinnen, die EZB und die Fed befänden sich in einem Wettlauf. Kündigte die EZB einen neuen expansiven Schritt an, fiel der Euro, äußerten sich Vertreter der Fed expansiver, stieg die Gemeinschaftswährung. Es ist daher gut möglich, dass der Euro bis Jahresende zulegen kann. Da dieses in moderatem Rahmen erfolgen sollte, dürften sich negative Auswirkungen auf die europäischen Aktienmärkte jedoch in Grenzen halten.