Wochenrückblick am Kapitalmarkt
03. Mai 2024 – Carsten Mumm, Chefvolkswirt
Wochenrückblick Kapitalmarkt – Anfang Mai 2024
Durch den überraschenden Anstieg des Wirtschaftswachstums um 0,2 Prozent im ersten Quartal – konnte für die deutsche Volkswirtschaft eine technische Rezession verhindert werden. Künftig rechnen wir mit einer leichten Zunahme der Wachstumsdynamik, die vor allem auf einem Anstieg des privaten Konsums aufgrund steigender Realeinkommen basiert. Allerdings wird ein dynamischeres Wachstum durch eine voraussichtlich schwache Erholung der globalen Industriedynamik und durch strukturelle Bremsfaktoren verhindert.
Im Vergleich mit den USA leidet die gesamte Eurozone seit dem Jahrtausendwechsel unter einer unterdurchschnittlichen Entwicklung der Produktivität pro Arbeitsstunde, wie EZB-Direktorin Isabel Schnabel noch einmal darstellte. Ein Grund dafür ist, dass die US-Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten ihre IT-bezogenen volkswirtschaftlichen Ausrüstungsinvestitionen mehr als doppelt so stark ausgebaut hat wie die meisten Staaten Europas. Entsprechend sollte die Diffusion neuer Technologien künftig durch mehr öffentliche Investitionen, die private Investitionen nach sich ziehen, gefördert werden. Zudem sind eine stärkere Marktintegration innerhalb Europas, der Abbau von Marktzutrittsbarrieren sowie ein stärkerer Wettbewerb notwendig, um u.a. die Entstehung junger Wachstumsunternehmen zu fördern. Solange die Produktivität nicht gesteigert wird, ist aus Sicht der EZB eine restriktivere geldpolitische Ausrichtung notwendig, um das Durchreichen stark steigender Löhne auf die Endverbraucherpreise einzudämmen.
Vorerst sorgen steigende Löhne jedoch vor allem in den Dienstleistungsbereichen vieler Volkswirtschaften für erhöhten Inflationsdruck, denn während die Stimmungslage der Industrieunternehmen sich global nur langsam verbessert, sind bei vielen Dienstleistern kurzfristig steigende Produktionsniveaus zu erwarten. Vor allem in den USA bewegt sich die Inflationsrate seit rund einem Jahr auf erhöhtem Niveau seitwärts und ist zuletzt sogar wieder angestiegen. Entsprechend ist frühestens im Herbst mit einer ersten Leitzinssenkung der Fed zu rechnen, und dann auch nur, wenn sich eindeutige konjunkturelle Abkühlungstendenzen am Arbeitsmarkt bemerkbar machen.
Die EZB hat im April Änderungen an ihrem geldpolitischen Handlungsrahmen, also dem Werkzeugkasten zur geldpolitischen Steuerung, veröffentlicht. Die daraus wichtigste Erkenntnis ist, dass man die im Zuge verschiedener Krisen in den letzten 15 Jahren deutlich ausgeweitete Bilanzsumme weiter reduzieren wird. Durch die Rückzahlung langfristiger Kredite an Banken wurde die Bilanzsumme seit Anfang 2022 bereits um knapp 30 Prozent auf 6,6 Billionen Euro gesenkt, aber das Erreichen der früheren Niveaus von weniger als 1 Billion Euro ist unwahrscheinlich. Die Notenbank hat angekündigt, künftig ein strukturelles Wertpapierportfolio zu führen und den Banken langfristige Kredite anzubieten. Damit dürfte der Einfluss der Geldpolitik auf Konjunktur und Kapitalmärkte ein besonders wichtiger Faktor bleiben.
In Deutschland wurde durch die stark gestiegenen Rüstungsausgaben der letzten Monate das Ziel der NATO-Mitglieder von 2 Prozent des BIP (gut 80 Mrd. Euro) erreicht, nachdem es seit Anfang der 1990er-Jahre überwiegend deutlich unterschritten wurde. Da aber bereits das gesamte „Sondervermögen Bundeswehr“ in Höhe von 100 Mrd. Euro verplant ist, müssen in den Folgejahren höhere Anteile für Rüstungsausgaben im regulären Bundeshaushalt verbucht werden. Nach Berechnungen des Kiel Institut für Weltwirtschaft können dadurch zumindest BIP-Zuwächse in gleichem Ausmaß erzielt werden. Produktiver wären zwar Investitionen in Infrastruktur, Bildung oder Forschung, denn sie hätten dauerhaft einen stärkeren Wachstumseffekt, allerdings kommt hier das politisch, gesellschaftlich und volkswirtschaftlich höhere Ziel der Herstellung der eigenen Sicherheit zum Tragen. Immerhin können aus Forschung zu militärischen Zwecken auch für die zivile Wirtschaft relevante Innovationen entstehen. Finanziert werden sollten steigende Rüstungsausgaben durch Schulden, denn sowohl Steuererhöhungen als auch Ausgabenkürzungen wären in der aktuell fragilen Situation der deutschen Volkswirtschaft kontraproduktiv – zumal die Verschuldungsquote des deutschen Staates im Jahr 2023 auf niedrige 63,7 Prozent gesunken ist.