22.04.2022
MUMM BRIEFING ZUM WOCHENAUSKLANG
Obwohl die Wachstumsprognosen weitgehend nach unten korrigiert wurden, bleibt das Basisszenario für die Weltwirtschaft vorerst positiv.
Die Reihe an Konjunkturprognosen ergänzte zuletzt der Internationale Währungsfonds (IWF) mit einem erwarteten globalen Wachstum in Höhe von 3,6 Prozent für 2022 sowie 2023. Für Deutschland und die Eurozone gehen die IWF-Experten von einem Wachstum in Höhe von 2,1 bzw. 2,8 Prozent in 2022 aus.
Die derzeitigen Hauptbelastungsfaktoren sind die unberechenbaren Auswirkungen der Ukrainekrise, die sich verstärkenden Lieferkettenprobleme aufgrund von Corona-Restriktionen in China sowie die Aussicht auf sehr deutlich steigende Zinsen, vor allem in den USA. Mit jedem Tag anhaltender Unsicherheiten nimmt die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten des Risikoszenarios – einer Rezession in der Eurozone sowie ggf. in den USA – zu. Ziemlich sicher, wäre diese Entwicklung im Falle eines kompletten Stopps von Rohstofflieferungen aus Russland nach Europa.
Besonders leidtragend sind dabei viele Schwellenländer. Derzeit profitieren ausschließlich die rohstoffexportierenden Volkswirtschaften von den massiv gestiegenen Rohstoffpreisen. Die meisten Schwellenländer sind allerdings von Rohstoff- und vor allem Nahrungsmittelimporten abhängig. Nach einer ohnehin nur sehr schleppenden Erholung von der Corona-Rezession droht jetzt mit einer absehbaren Nahrungsmittelknappheit und der Perspektive stark steigender US-Dollarzinsen ein erneuter sozialer und wirtschaftlicher Rückschlag. Jahrelange Bemühungen, die Wohlstandsniveaus der Schwellenländer näher an die Industrienationen heranzuführen, werden damit zunichtegemacht. Seit zwei Jahren ist vielmehr eine stark zunehmende Divergenz der Entwicklungen festzustellen.
Trotz des derzeitigen, stagflationär wirkenden Schocks mit der Folge sinkender Wachstums- und gleichzeitig deutlich steigender Inflationserwartungen ist die Gefahr des Abrutschens in eine jahrelange Stagflationsphase gering. Dagegen spricht die sehr hohe Investitionsnachfrage von Staaten und Unternehmen zur Umsetzung der Dekarbonisierung und zur Steigerung der Resilienz von Lieferketten, Gesundheitssystemen und der Energieversorgung. Aber auch die Konsumnachfrage bleibt angesichts positiver Entwicklungen an den Arbeitsmärkten, dem Trend zu steigenden Löhnen – auch durch demografische Effekte – sowie dem coronabedingten Nachfragestau stabil hoch. Sobald sich die bestehenden Unsicherheiten und angebotsseitigen Verzögerungen auflösen, dürfte die Wachstumsdynamik daher wieder schnell und deutlich zulegen.
Aufgrund des steigenden politischen und gesellschaftlichen Drucks dürfte auch die EZB künftig einen weniger expansiven bzw. gegen Jahresende sogar einen leicht restriktiven geldpolitischen Kurs einschlagen – vorausgesetzt es kommt nicht kurzfristig zu einer Rezession in der Eurozone. Es ist davon auszugehen, dass im dritten Quartal die Nettowertpapierkäufe beendet werden und spätestens im vierten Quartal eine oder zwei erste Leitzinserhöhungen umgesetzt werden. Dadurch dürfte der Eurokurs im Vergleich zum US-Dollar gestützt werden.
Kapitalanleger müssen künftig mit weiter steigenden Renditen für Staatsanleihen sowie notenbankinduziert auch mit steigenden Zinsen im Geldmarktsegment rechnen. Die Aktienmärkte befinden sich derzeit überwiegend in kurzfristigen Abwärtstrends, wenngleich sich die Kurse trotz massiv negativer Nachrichtenlage noch relativ stabil halten. Sobald sich daher Besserungen bei einzelnen der genannten Belastungsfaktoren abzeichnen, sind erneut steigende Notierungen wahrscheinlich.
Die Stichwahl um das Präsidentschaftsamt in Frankreich dürfte mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zugunsten des Amtsinhabers Macron ausgehen, obwohl durch eine möglicherweise geringe Wahlbeteiligung auch eine Überraschung zugunsten Marine Le Pens möglich wäre. Sollte ein Sieg Le Pens eintreten, wäre dies ein politischer Belastungsfaktor für die Bemühungen um ein geschlossenes Auftreten Europas gegenüber Russland und dürfte auch dem Euro sowie den Aktienmärkten kurzfristig eine negative Richtung geben. Zumindest an den Ertragserwartungen der Unternehmen dürfte aber selbst dieses Szenario nur wenig ändern, sodass andere Einflussfaktoren schnell wieder in den Fokus rücken dürften.