20.11.2019
Ein positives Quartal macht noch keinen Konjunkturfrühling…
Die deutsche Konjunktur hat im dritten Quartal mit voraussichtlichen 0,1 Prozent anders als erwartet ein hauchdünnes positives Wachstum erzielt. Damit konnte die sogenannte „technische Rezession“ – also zwei Quartale hintereinander mit negativen Raten – vermieden werden. Gleichzeitig wurde die Wachstumsrate für das zweite Quartal auf -0,2 Prozent nach unten korrigiert.
So oder so steckt die deutsche Volkswirtschaft aber weiterhin in einer ausgeprägten Wachstumsdelle. Dabei bleibt das Kernproblem die Industrie, deren Produktion schon seit dem Frühjahr 2018 nahezu kontinuierlich sinkt. Im September lag die Industrieproduktion um 4,3 Prozent unter dem Niveau des Vorjahres. Ursächlich für die Schwäche sind sowohl ein normaler zyklischer Abschwung nach der Boomphase bis Ende 2017 als auch strukturelle Probleme einzelner Industriezweige, vor allem im Automobilsektor, mit einem Anteil von knapp 5 Prozent an der Bruttowertschöpfung einer der wichtigsten Branchen in Deutschland. Die Autobauer befinden sich in einer Transformationsphase mit mehreren großen Herausforderungen gleichzeitig. Neben dem weitgehend selbst verursachten Imageverlust und dem daraus resultierenden Absatzeinbruch beim Diesel-Motor, müssen enorme Investitionen in die Entwicklung alternativer Antriebstechnologien und digitaler Dienstleistungen, etwa zum autonomen Fahren, bewerkstelligt werden.
Zusätzlich wird besonders die sehr exportabhängige deutsche Industrie weiter durch die laufenden Handelskonflikte sowie den sich hinziehenden Brexit-Prozess belastet. Diese geopolitischen Faktoren erhöhen die Unsicherheit für Unternehmer aus nahezu allen Branchen und in fast allen Regionen weltweit. Vor diesem Hintergrund wurden Investitionen zurückgehalten. Diese dürften größtenteils erst nachgeholt werden, wenn sich konkrete Hinweise auf einen Wegfall der Belastungsfaktoren abzeichnen. Bisher sind diese jedoch kaum absehbar. Im Gegenteil könnten auch diesbezüglich gerade auf die deutschen Autobauer besondere Herausforderungen erst noch zukommen.
Immerhin stabilisierten sich zuletzt die Auftragseingänge der deutschen Industrieunternehmen mit einem leichten Plus im September in Höhe von 1,3 Prozent verglichen mit dem Vormonat. Im Vorjahresvergleich jedoch liegen noch immer über 5 Prozent weniger Aufträge vor. Auch die weiterhin boomenden Bauinvestitionen konnten die Lage mit einem Anteil von knapp 10 Prozent am Bruttoinlandsprodukt nur teilweise stabilisieren.
Damit richtet sich die Hoffnung der Volkswirte auf den Konsum, der die verbleibende konjunkturelle Dynamik in Deutschland bisher noch aufrecht hielt. Der viel beachtete GfK-Konsumklimaindex befindet sich im November mit 9,6 Punkten zwar noch auf einem relativ hohen Niveau, allerdings ist seit Anfang 2019 auch hier eine leichte Negativtendenz unverkennbar. Zwar nutzen Viele die niedrigen Zinsen zu erhöhten Ausgaben, jedoch belastet zunehmend die Angst vor Kurzarbeit oder gar einem Arbeitsplatzverlust die Stimmung der Verbraucher. Hier steht derzeit neben der Automobilindustrie, die inkl. Zulieferer immerhin über eine Million Arbeitnehmer beschäftigt, vor allem die deutsche Windenergiebranche im Fokus.
Ob die deutsche Konjunktur die Talsohle bereits erreicht hat, wird sich somit erst in den kommenden Monaten zeigen. Je länger sich die Flaute in der deutschen Industrie hinzieht, umso stärker werden die negativen Auswirkungen auf den Konsum und damit die Belastungsfaktoren für die konjunkturelle Entwicklung. Aufschluss darüber geben die laufenden Veröffentlichungen wichtiger konjunktureller Frühindikatoren, wie der Einkaufsmanagerindizes oder des ifo-Geschäftsklimaindex.
An den Kapitalmärkten ist die realwirtschaftliche Situation nur teilweise eingepreist. Zumindest die zuletzt wieder deutlich gestiegenen Aktienmarktnotierungen wurden vor allem durch die – vollkommen nachvollziehbare – Aussicht auf weiterhin niedrige Zinsen und die Hoffnung auf Fortschritte in den Handelskonflikten sowie beim Brexit getragen. Weitere Verzögerungen oder gar Rückschritte in den laufenden Verhandlungen könnten daher kurzfristig für Korrekturen sorgen. Auch die Mitte Dezember anstehende Parlamentswahl in Großbritannien könnte Anleger beunruhigen, wenn Boris Johnson die angestrebte Mehrheit für seine konservative Partei verfehlt. Eine Ratifizierung des mit der EU ausgehandelten Austrittsvertrags geriete dann in Gefahr und könnte den Brexit-Prozess erneut verzögern. Mit Blick auf 2020 bleiben die Perspektiven für die internationalen Aktienmärkte aber positiv, vor allem weil die expansive geldpolitische Ausrichtung bedeutender Notenbanken erhalten bleibt.